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  • AutorenbildThomas

Wo liegt die Verantwortung?

Aktualisiert: 31. Dez. 2022

Ein Thema, das mich oftmals betrifft, sei es persönlich in meinen Beziehungen (zu Nicola, zu den Kindern, und auch zu Freunden) oder bei Fragen von Teilnehmern, ist: Wenn ich nur für meine Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse und natürlich für meine Handlungen verantwortlich bin, und überhaupt nicht für die meines Gegenübers - bin ich dann nicht ein Egoist? Nicola und ich haben uns schon viel darüber ausgetauscht, wie wir sowohl selbstverantwortlich für uns einstehen, als auch füreinander da sein können. Wir fragten uns: „Wie bringen wir es „unter einen Hut“, uns füreinander einzusetzen, und trotzdem die Verantwortung für die Gefühle des Anderen ganz bei ihm zu lassen?“ Diese Frage erscheint uns sehr wichtig, da daraus eine gute Balance entstehen kann, das „Ich“ und das „Wir“ in Einklang zu bringen.

Ein Beispiel dazu: Ich hatte einen intensiven Trainingstag, und Nicola hat währenddessen zu Hause gearbeitet. Ich komme heim und brauche Ruhe, während Nicola Lust auf Austausch und Gemeinschaft hat. Nicola fragt mich: „Ich würde mich gerne noch austauschen und gemeinsam zum Feuer setzen und erzählen, machen wir das?“. Meine Möglichkeiten dazu sind:

1). Ich fühle mich für Nicola verantwortlich, verdränge meine Erschöpfung und sage: „Ja, wenn es Dir so wichtig ist, machen wir das.“ Dabei bleibt mein Bedürfnis auf der Strecke und Nicola meint vielleicht, ich freue mich auch darauf. Wenn ich dann beim Austausch am Feuer nur halb anwesend bin, ist sie evtl. verwundert und irritiert.

2.) Mich interessiert im Augenblick nicht, was Nicola braucht, ich bin müde und damit basta. Ich sage: „Ich bin heute zu müde, ich möchte mir einfach noch einen Film anschauen und nicht mehr reden. Wenn Nicola dann dranbleibt, würde ich auf dieser Stufe sagen: „Hör jetzt bitte auf, ich schaue mir den Film an, wir können ja morgen reden.“ Nicola ist vielleicht unzufrieden, weil sie wichtig sein möchte.

3.) Ich zeige Nicola, dass ich ernst nehme, was sie sich wünscht, sage, was ich brauche, und bin bereit etwas zu finden, das für uns beide passt. Das mache ich nicht für Nicola, sondern ich weiß ich mache es für unsere Beziehung und dadurch für mich selbst. Ich sage also: „Warst Du heute den ganzen Tag allein und wünscht Dir einfach noch Austausch und Gesellschaft? „Nicola wird vermutlich antworten: „Ja“ oder noch was dazu sagen, ich bleibe mit meiner Aufmerksamkeit bei ihr, bis ich sie ganz verstanden habe. Dann schau ich nach, wie es mir geht und sage z.B.: „Ich höre, du hättest gern Gemeinschaft, da freue ich mich einerseits, weil ich auch gerne Kontakt habe. Andererseits bin ich wirklich erschöpft und brauche dringend Ruhe. Ich möchte mir einfach noch einen Film anschauen und nicht mehr reden. Aber morgen Abend würde für mich passen.“ Falls Nicola mit diesem Vorschlag sehr unzufrieden ist, bin ich bereit, was zu suchen, das für uns beide passt. Egal wie die Lösung aussieht, ich werde zufrieden damit sein, weil ich weiß, ich habe mich bewusst dafür entschieden.


Es braucht im Miteinander meines Erachtens nicht nur den persönlichen, sondern auch den systemischen Ansatz. Dieses Thema ist etwas komplex, deshalb möchte ich es auch zusätzlich durch ein Bild erklären. Darüber hinaus habe ich für die einfachere Lesbarkeit auf gendergerechte Sprache verzichtet, gemeint sind immer beide Geschlechter.

Auch - oder gerade weil - ich weiß, dass ich für meine Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse, und meine Handlungen verantwortlich bin, weiß ich auch, dass alles, was ich tue (und natürlich auch, was die Anderen tun), Konsequenzen hat. Ich bin für meine Bedürfnisse verantwortlich, nicht für Bedürfnisse Anderer. Damit ist gemeint, ich bin verantwortlich, wahrzunehmen, was ich brauche, und mich darum zu kümmern. Hier können kleine Kinder unsere Vorbilder sein, sie stehen kraftvoll für ihre Bedürfnisse ein, auch wenn sie sie teilweise noch nicht selbst erfüllen können. Wir können vertrauen dass ein Kleinkind, wenn es zufrieden und ruhig spielt, nichts braucht. Kinder melden sich, wenn sie etwas brauchen.

Als Erwachsene melden wir uns oft nicht, hoffen, irgendjemand bemerkt, dass uns etwas fehlt, und kümmert sich darum. Oder wir äußern ein Bedürfnis, jedoch keine Bitte dazu, wie wir es erfüllen wollen, und erwarten vom Anderen, zu wissen, wie er/sie dieses Bedürfnis erfüllt. Beides bedeutet, wir geben unsere Verantwortung ab, und machen wen Anderen verantwortlich für unsere Bedürfnisse.

Wenn mein Gegenüber klar sagt, was er braucht und äußert eine Bitte dazu, hat er seine Verantwortung übernommen. Nun beginnt meine Verantwortung für mich: Ich prüfe, ob ich die Bitte im Einklang mit meinen Bedürfnissen erfüllen kann. „Im Einklang“ bedeutet nicht, dass ich jedes meiner Bedürfnisse zu jeder Zeit erfüllt haben muss, sondern, dass ich die Balance meiner Bedürfnisse für mich im Auge behalte. Wenn ich bemerke, dass diese Bitte für mich nicht passt, ist es meine Verantwortung „nein“ zu sagen, und gleichzeitig offen zu sein, evtl. einen anderen Beitrag zu leisten. Warum?

Hier sind wir bei der Verantwortung für die Beziehung / Gemeinschaft. So wie jeder für sich verantwortlich ist, ist jeder Teil einer Gemeinschaft für diese mitverantwortlich. Eine Gemeinschaft hat - ähnlich wie ein Mensch - sozusagen einen eigenen Spirit, einen „Wesenskern“, der Bedürfnisse hat, um existieren zu können.

Wenn in einer (Paar-)Beziehung nur ein Partner die Beziehung pflegt, indem er für Kontakt, Nähe, Unterstützung usw. sorgt, und der andere Partner achtet „nur“ auf sich, dann ist daran zwar nichts Verwerfliches, aber die natürliche Konsequenz daraus ist, dass die Beziehung mit der Zeit verkümmert und schließlich zugrunde geht.

Wenn wir diese natürliche Konsequenz nicht wollen, entsteht die logische Konsequenz, dass alle in der Gemeinschaft zu dieser beitragen, jeder in einem Maß, wo er auch seine eigenen Bedürfnisse im Auge behält. Die Beziehung als solche erfüllt uns viele Bedürfnisse, und braucht dafür aber auch Pflege.


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