Ich glaube, jede(r) von uns könnte obige Zuschreibungen um eine lange eigene Liste ergänzen- aus Begegnungen, Diskussionen, Gesprächen, Gedankenkarussell ….
Auch wenn es eine sehr gewohnte, wenn auch aus unserer Sicht ganz und gar nicht natürliche und hilfreiche Vorgangsweise ist, die Schuld für die Schwierigkeiten, in denen wir – gerade – stecken, anderen anzulasten, würde ich mir sehr viel mehr Achtsamkeit wünschen in dieser Zeit der Pandemie.
Ich möchte von ein paar persönlichen Beispielen erzählen und freue mich auf Beiträge aus der Leserschaft, denn ich denke, die Vielfalt ist hier enorm:
„Brav“ – wir haben unseren Wohnzimmerteppich einer Reinigungsfirma übergeben. Bei der Übergabe und in einem kurzen Gespräch mit dem Chef der Firma sagte dieser über seinen Mitarbeiter: „Er ist sehr brav. Auch seine Frau und Kinder sind sehr brav. Er ist verlässlich und pünktlich.“ Der Mann, gleich alt wie der Chef, stammend aus Afghanistan, stand daneben. Auch wenn er es mit Sicherheit gut meinte, so hat es mich selbst doch innerlich geschüttelt, als ich das hörte. Augenhöhe, Respekt – das waren die wesentlichen Punkte, die da für mich spruchreif wurden. Schon die kleine Nuance: „ICH FINDE, er ist sehr …“ hätte die Schieflage dieser Kommunikationssituation mehr in Richtung Balance verschoben. Gut gemeint – jedoch für mich doch nicht so passend …
In einer Gemeindefachzeitschrift las ich gestern, „Die Hirnlosigkeit einiger weniger führt zur Arbeitslosigkeit Vieler.“ Mich stören solche Formulierungen enorm, denn sie heizen – meiner Meinung nach – die Spannung in unserer Gesellschaft an und führen in keiner Hinsicht zu Veränderungen, die wir uns wünschen. Sie schüren den Zwang und den Widerstand. Sie bringen uns Menschen gegeneinander auf.
In einer Gemeindesitzung gab es zu hören: „Das ist nur, weil die Leute so undiszipliniert sind!“ Nach dieser Aussage gingen weitere Aussagen die Runde. Ich wurde zunehmend unrunder, bis ich darum bat, dass Aussagen über Nicht-Anwesende beendet werden mögen, weil sie nicht dazu Stellung nehmen könnten. Ein paar erstaunte, irritierte Blicke – und es wurde in der Tagesordnung weiter gearbeitet. Ich möchte nicht behaupten, das ich stolz bin auf so etwas. Mir wäre es sehr recht, wenn wir Menschen lernen, unsere Kommunikation selbstverantwortlicher & selbstreflektierter zu gestalten. Denn, wie können wir hier im Raum wissen, ob Leute „diszipliniert“ oder „undiszipliniert“ sind? Erstens finde ich, können wir es nicht beurteilen. Zweitens finde ich, steht es uns auch nicht zu. Drittens lassen, finde ich, solche Aussagen die Augenhöhe vermissen. Sie lassen die Idee aufkommen, Menschen seien nicht mündig … und da komme ich in Rage.
Marshalls Aussage:“ Wo immer Menschen andere verurteilen, tragen sie zur Gewalt bei,“ wird für mich hier und in solchen Situationen hautnah spürbar. Und klar, ich möchte nicht behaupten, dass ich da immer urteilsfrei unterwegs bin, nein. Doch ich arbeite, so gut ich kann, daran. Denn Worte sind wirklich sehr mächtig – und je mehr Bewusstsein wir in unsere Sprache hineinlegen, desto mehr werden wir, denke ich, jene Gesellschaft erleben, nach der wir uns alle sehnen – einem Miteinander, das das Wohlbefinden aller im Blick hält und getragen ist von Mitgefühl für sich selbst und andere.
Danke an alle LeserInnen, denn ich bin zuversichtlich, ihr arbeitet auch alle daran …
Ich freu mich auf Austausch mit euch.
Nicola
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