Als Trainer für Gewaltfreie Kommunikation erfahre ich die Geschichten vieler Menschen. In meinen Trainings beobachte ich, wie sich das, was wir bearbeiten, in den Gesichtern der TeilnehmerInnen widerspiegelt – Unsicherheit, Trauer, oft auch Ärger. Es berührt und schmerzt mich auch, in die Augen von Menschen zu blicken, die sich nach Verständnis und Mitgefühl sehnen und das Gegenteil erleben.
Eine Geschichte, die mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, ist die von Herta, die an ihrem Arbeitsplatz unzufrieden war. Bei unserem ersten Treffen sprach sie über ihre Kollegen, die oft herablassend und respektlos miteinander umgingen. „Es ist, als würden alle ständig in einem Wettkampf stehen“, klagte sie. „Keiner behandelt die Anderen so, wie er selbst behandelt werden möchte. Und ich fühle mich dazwischen wie ein Spielball. Ich weiß nicht, wie ich aus dieser Negativität herauskommen kann. Was kann ich da machen? Ich werde einfach nicht respektiert.“
Ich lauschte und fühlte mit ihr. „Ich höre, wie sehr du dich nach einem respektvollen Miteinander sehnst, und dich da hilflos fühlst.“ Ein „Ja“ mit einem tiefen Seufzer zeigte mir, dass ich damit richtig lag. Es ist schmerzhaft zu sehen, wie sich Menschen gegenseitig verletzten, während sie insgeheim nach etwas Positivem verlangen. „Herta“, fragte ich vorsichtig, „Ich weiß, das ist schwierig, aber hast du jemals darüber nachgedacht, andere respektvoll zu behandeln, auch wenn du es anders erlebst?"
Herta schaute mich skeptisch an. „Aber sie sind so gemein! Warum sollte ich freundlich sein, wenn sie mich so behandeln?“
Ich entgegnete: „Es geht nicht um Freundlichkeit, sondern darum aus diesem belastenden Kreislauf der Wiederholung auszusteigen. Gewaltfreie Kommunikation ermöglicht dir, klar und gleichzeitig respektvoll für deine Würde einzustehen und aktiv jenes Miteinander zu leben, das du dir wünscht, auch wenn die anderen anfangs nicht mitziehen. Wie klingt das für dich?
In den nächsten Wochen arbeitete Herta intensiv daran, neue Kommunikationsstrategien auszuprobieren. Sie begann, die Bedürfnisse ihrer Kollegen zu erkennen und ihre Mitmenschen nicht sofort zu verurteilen, wenn diese unfreundlich waren. Stattdessen stellte sie Fragen und bot an, zuzuhören. Es war eine Herausforderung – sie musste oft gegen ihren ersten Impuls ankämpfen, anzugreifen oder sich zurückzuziehen.
Mit der Zeit hat sich bei Herta viel verändert. Ihr Gesicht strahlte, und ich bemerkte eine Veränderung in ihrer Haltung. „Es ist erstaunlich, was passiert ist“, begann sie. „Die Dinge haben sich nicht über Nacht geändert, aber ich habe gelernt, anders zu reagieren. Ich habe meinen Kollegen gesagt, wie ich mich fühle, wenn mir Respekt fehlt, und konkrete Bitten um Veränderung gestellt, ohne zu beschuldigen. Ich schaffe es immer häufiger, statt automatisch zu reagieren, einmal durchzuatmen und mir selbst treu zu bleiben.“
Ich war begeistert und bewegt, von diesem Erfolg zu hören. Als ich sie fragte, wie die anderen reagiert hatten, nahm ihr Lächeln einen Hauch von Traurigkeit an. „Nicht alle haben so reagiert, wie ich gehofft hatte. Einige haben sich weiter so verhalten, wie zuvor. Aber ich fühle mich jetzt besser, weil ich mein Verhalten ändern konnte.“
Das ist die große Herausforderung – wir behandeln meist andere so, wie wir selbst behandelt werden, und erreichen damit einen endlosen Kreislauf des Missmuts. Auch wenn das nicht alle in ihrem Umfeld erkennen konnten wusste ich, dass Hertas Entschlossenheit ein großer Schritt zur Änderung der Stimmung war.
Mir ist klar, dass eine Veränderung nicht sofortige Ergebnisse bringt. Sie passiert in kleinen Schritten – manchmal wirkt es, als würde die Welt um uns herum unverändert bleiben, während sich im Inneren langsam mehr und mehr Ruhe und Frieden entwickelt.
Wir haben die Macht, das Miteinander zu verändern, selbst wenn der Druck um uns herum stark ist. Ich frage mich oft, wie sich unsere Welt verändern würde , wenn durch die Gewaltfreie Kommunikation noch viel mehr Menschen es wie Herta schaffen könnten, ihre Perspektive zu ändern und aus dem Kreislauf auszusteigen, indem wir anderen das geben, was wir uns wünschen.
Wenn ich in der Abschlussrunde eines Trainings den TeilnehmerInnen in die Augen sehe, kann ich Hoffnung sehen. Die gibt es immer.
Thomas
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